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Neue Global Health Estimates der WHO

Balkendiagramm zur Anzahl der Todesfälle durch globale Herausforderungen 2019.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat kürzlich eine neue Ausgabe ihrer Global Health Estimates (GHE, Globale Schätzwerte zur Gesundheit) veröffentlicht, die für die Jahre 2000 bis 2019 aktualisiert wurden. Bei Global2030 nutzen wir diese Daten für wichtige globale Herausforderungen, die aus einem begrenzten Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen wie Nahrung, sauberem Wasser oder Gesundheitsversorgung resultieren. Wir beurteilen die relative Bedeutung dieser Herausforderungen und ihren Fortschritt in Bezug auf international vereinbarte, zeitgebundene Ziele – wie die 2015 festgelegten UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) –, sofern vorhanden.

Darüber hinaus vergleichen wir die GHE-Daten mit den kurz zuvor veröffentlichten Daten der Studie zur Global Burden of Disease, die das Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) erstellt hat.

 

1)   Wichtige Ergebnisse der Global Health Estimates

 

Im folgenden stellen wir die GHE-Daten zu den wichtigsten globalen Herausforderungen, die auf einen eingeschränkten Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen zurückgehen, in absteigender Reihenfolge der damit verbundenen Anzahl von Todesfällen dar (WHO 2020).

An Infektionen der unteren Atemwege – hauptsächlich Lungenentzündung – starben im Jahr 2019 weltweit etwa 2,59 Millionen Menschen. Dies ist die höchste Zahl an Todesfällen durch Infektionskrankheiten und beinhaltet 740.000 Todesfälle von Kindern unter 5 Jahren. Die Gesamtzahl hat sich gegenüber 2,57 Millionen im Jahr 2015 kaum verändert, aber die Zahl der Todesfälle bei Kindern ging von 863.000 zurück; dies reicht jedoch wahrscheinlich nicht aus, das WHO-Target für 2025 zu erreichen.

Erkrankungen bei Neugeborenen forderten im Jahr 2019 2,04 Millionen Menschenleben. Das ist ein Rückgang gegenüber 2,25 Millionen im Jahr 2015. Leider liefern die GHE keine Zahlen zur neonatalen Sterblichkeitsrate, um den Trend zum damit verbundenen SDG-Ziel 3.2 zu bewerten.

Durchfallerkrankungen, meist verursacht durch unsichere Wasser- und Sanitärversorgung mit Verunreinigungen durch E.coli, Rotaviren usw., führten 2019 zu 1,52 Millionen Todesfällen. Dies ist zwar ein Rückgang gegenüber 1,67 Millionen im Jahr 2015, zeigt aber nicht an, dass wir auf dem richtigen Weg wären, die SDG-Targets 6.1 und 6.2 zu erreichen, bis 2030 Zugang für alle zu sicherem Wasser und sanitären Einrichtungen zu schaffen.

 

Anzahl der Todesfälle durch wichtige globale Herausforderungen im Jahr 2019
(in Millionen)

Balkendiagramm zur Anzahl der Todesfälle durch globale Herausforderungen 2019.

Datenquelle: WHO 2020 (Global Health Estimates).

 

Straßenverkehrsunfälle führten im Jahr 2019 zu 1,28 Millionen Todesfällen. Das ist etwas mehr als die 1,25 Millionen im Jahr 2015, was darauf hindeutet, dass das Target für 2020, die Zahl der damit verbundenen Todesfälle zu halbieren, wahrscheinlich verfehlt wird (SDG 3.6).

An Tuberkulose starben im Jahr 2019 1,21 Millionen Menschen. Das ist weniger als die 1,31 Millionen im Jahr 2015, aber kein ausreichender Rückgang, um das SDG-Ziel 3.3 zu erreichen, der Tuberkulose bis 2030 ein Ende zu bereiten.

Akute und chronische Hepatitis B und C führten im Jahr 2019 zu 1,11 Millionen Todesfällen. Mit einem Anstieg gegenüber 1,07 Millionen im Jahr 2015 ist Hepatitis die einzige große Infektionskrankheit, die weiterhin zunimmt und damit von SDG 3.3 und den Zielen der WHO-Mitglieder abweicht, die Zahl der Todesfälle bis 2030 zu reduzieren.

HIV/AIDS forderte im Jahr 2019 675.000 Menschenleben. Durch enorme Anstrengungen konnte die Zahl der Todesopfer von 819.000 im Jahr 2015 gesenkt werden, aber wir sind nicht auf dem Weg, SDG 3.3 zur Beendigung von AIDS bis 2030 zu erreichen.

An Malaria starben im Jahr 2019 411.000 Menschen, überwiegend Kinder. Der Rückgang gegenüber 459.000 im Jahr 2015 reicht nicht aus, um Malaria bis 2030 zu beenden, wie es das SDG-Target 3.3 verlangt.

Mangelernährung forderte im Jahr 2019 das Leben von 263.000 Menschen. Das waren nur etwas weniger als die 272.000 Todesfälle im Jahr 2015. Darüber hinaus führt Unterernährung zu einem Mehrfachen an Todesfällen, indem sie verschiedene Krankheiten verschlimmert. Der Trend ist nicht auf dem Weg, das SDG-Target 2.1 zur Beendigung des Hungers bis 2030 zu erreichen.

Mütterliche Erkrankungen führten 2019 zum Tod von 196.000 Mädchen und Frauen. Das ist ein deutlicher Rückgang gegenüber 221.000 im Jahr 2015. Allerdings lassen die GHE eine Müttersterblichkeitsrate vermissen, um den Fortschritt in Richtung des damit verbundenen SDG-Ziels 3.2 zu bewerten.

An Masern starben im Jahr 2019 166.000 Menschen – meist Kinder. Diese Zahl stieg leicht von 156.000 im Jahr 2015 an und weicht damit von dem Ziel der WHO-Mitglieder für 2020 ab, die Masern in 4 von 6 Weltregionen zu eliminieren.

Bewaffnete Konflikte führten im Jahr 2019 zum Verlust von 72.500 Menschenleben. Im Jahr 2015 lag diese Zahl mit 186.000 Todesfällen noch deutlich höher. Somit kann der aktuelle Trend als im Einklang mit SDG 16.1 zur Verringerung der gewaltbedingten Todesfälle angesehen werden (zeitlich nicht gebunden).

Naturkatastrophen haben im Jahr 2019 schätzungsweise 6090 Menschen das Leben gekostet. Im Jahr 2015 waren es 14.700, so dass der aktuelle Trend als auf dem Weg zu einer deutlichen Reduzierung dieser Todesfälle bis 2030 angesehen werden kann (SDG-Target 11.5). Der Erfolg hängt jedoch von der Katastrophenvorsorge sowie den natürlichen Schwankungen beim Auftreten von Katastrophen ab.

Bei den oben aufgeführten wichtigen Problemen kann nur eines der befristeten und eines der nicht befristeten Ziele der SDGs als auf dem richtigen Weg angesehen werden. Die SDGs brauchen dringend einen weiteren Schub, um erreicht zu werden. Zehn Jahre vor ihrem Zieljahr benötigten auch die Millennium Development Goals (MDGs) einen solchen Schub, den sie durch den UN-Weltgipfel 2005 auch erhielten.

Im Jahr 2020 hat COVID-19 bisher zu 1,78-1,80 Millionen gemeldeten Todesfällen geführt und rangiert damit unter den höchsten Opferzahlen in dieser Liste, ohne Berücksichtigung nicht diagnostizierter Fälle und der verschärfenden Wirkung auf andere Krankheiten (WHO 2020b; CSSE). Wie UN-Generalsekretär António Guterres empfahl, sollte die Erholung von COVID-19 durch die SDGs und das Pariser Übereinkommen zur Bekämpfung des Klimawandels angeleitet werden, was eine Chance in der Krise darstellt (Guterres 2020).

 

2)   Vergleich mit der Studie zur Global Burden of Disease

 

Vergleicht man die Global Health Estimates mit der Studie zur Global Burden of Disease (GBD, Studie zur globalen Krankheitslast, siehe unseren Artikel), so ergibt sich folgendes Bild:

 

Anzahl der Todesfälle durch wichtige globale Herausforderungen im Jahr 2019
nach GHE- und GBD-Daten
(in Millionen)


GHE

GBD

Lungenentzündung/untere Atemwegsinfektionen

2,59

2,49

Erkrankungen bei Neugeborenen

2,04

1,88

Durchfallerkrankungen

1,52

1,53

Unfälle im Straßenverkehr

1,28

1,20

Tuberkulose

1,21

1,18

Hepatitis B und C

1,11

1,10

HIV/AIDS

0,675

0,864

Malaria

0,411

0,643

Mangelernährung

0,263

0,252

Mütterliche Erkrankungen

0,196

0,196

Masern

0,166

0,0834

Bewaffnete Konflikte

0,0725

0,0630

Naturkatastrophen

0,00609

0,00608

Datenquellen: WHO 2020, GBD 2020a.

 

Während die Schätzwerte generell eine große Übereinstimmung zeigen, gibt es bei einigen wenigen Themen erhebliche Diskrepanzen. Die GHE haben öfter als die GBD-Studie die höheren Werte. Die größte Diskrepanz, sowohl in absoluten als auch in relativen Zahlen, tritt bei Malaria mit +0,232 Millionen oder +56,6 % geschätzten Todesfällen auf (beim GBD-Schätzwert im Vergleich zu den GHE). Die zweitgrößte Diskrepanz ergibt sich relativ gesehen mit −49,7 % bei Masern und absolut gesehen mit +0,189 Millionen bei HIV/AIDS (+21,9 %) (eigene Berechnungen von Global2030 anhand der GHE- und GBD-Daten). Die GHE und die GBD-Studie verwenden Daten aus den nationalen Geburten- und Sterberegistern, während die GHE diese mit Schätzwerten der UN und der GBD-Studie sowie durch Rücksprache mit den WHO-Mitgliedsstaaten ergänzt. Für Länder mit unvollständiger Geburten- und Sterberegistern basieren die GHE für HIV/AIDS auf UNAIDS/WHO-Schätzungen und die Schätzwerte für Malaria und Masern auf WHO-Schätzungen (WHO 2020a, S. 28-29, 32-33). Dies kann die größeren Diskrepanzen bei diesen Themen erklären (während es zugleich andere Themen gibt, für die die GHE WHO- oder UN-Schätzwerte verwenden, die kleinere Diskrepanzen zu den GBD-Schätzungen aufweisen).

Im Hinblick auf Naturkatastrophen ist es bemerkenswert, dass die Schätzungen der GHE und der GBD-Studie weitgehend übereinstimmen, aber nur halb so hoch sind wie die Zahl der gemeldeten Todesfälle, die vom Centre for Research on the Epidemiology of Disasters (CRED) bereitgestellt werden. Deren angesehene EM-DAT-Datenbank wird als Hauptdatenquelle für die GHE- und GBD-Schätzwerte zitiert (GBD 2020b, S. 428, WHO 2020a, S. 31). CRED berichtet von 11.755 Todesfällen im Jahr 2019, während die GBD-Studie 6080 Todesfälle schätzt. Für die Jahre 2009-2018 gibt CRED einen Zehnjahresdurchschnitt von 45.212 berichteten Todesfällen an, während die GBD-Zahlen im Durchschnitt mit rund 38.400 geschätzten Todesfällen niedriger liegen (CRED 2020, S. 5; GBD 2020a). Der Vorteil von Schätzwerten gegenüber berichteten Fällen ist, dass eine Schätzung Datenlücken füllen oder nicht dokumentierte Fälle erfassen kann (die Dunkelziffer). Eine Schätzung könnte nur dann kleiner sein als eine berichtete Zahl, wenn es einen substantiellen Grund für die Annahme gibt, dass die berichteten Todesfälle eine Übertreibung darstellen. Die GBD-Studie und die GHE machen in ihrer Methodik jedoch keinen solchen Einwand geltend (GBD 2020b, S. 428, 430, 1348; WHO 2020a, S. 31).

Auch unter Berücksichtigung der genannten Einschränkungen und Diskrepanzen sind die Global Health Estimates eine sehr nützliche Datenquelle für die Beurteilung großer globaler Herausforderungen, ebenso wie die eine größere Anzahl von Themen umfassende Studie zur Global Burden of Disease.

 

Chloë Mills und Lars Vogelsang
Global2030

 

Quellen (englisch)